Forschungsschwerpunkte:


Literarische Skepsis, der literarische Narr, Literatur als Widerstand.

Dieser Forschungsschwerpunkt gliedert sich in drei Forschungsfelder. Die Ausdifferenzierung eines vergleichbaren PhΣnomens unter sehr verschiedenen kulturhistorischen Bedingungen steht zur Debatte.

1. Entwicklung, Begrⁿndung und spezifische Strukturen literarischer Skepsis / skeptischer Literatur in der frⁿhen Neuzeit.

Zu den Weisen au▀erliterarischer Indienstnahme von Literatur zΣhlt auch ihre Vereinnahmung durch Praktiken des Denkens; zu den Strategien ihrer Selbstkonstitution geh÷rt auch die Defamiliarisierung philosophischer Modi und Motive. Am Gelenkpunkt der an dieser Stelle der Auseinandersetzung von Literatur und Philosophie aufbrechenden Dialektik von Pragmatisierung und Entpragmatisierung befindet sich die Skepsis.
Als Metaphilosophie expliziert die Skepsis die uneingestandenen Handlungsorientierungen dogmatischer Philosophien und suspendiert deren Intentionen in der Denkfigur der EpochΘ . Indem sie auf das von den ⁿbrigen Denkweisen mehr oder minder naiv in Anspruch genommene AbgrenzungsverhΣltnis von Pragmatisierung und Entpragmatisierung reflektiert und sie durch ihre charakteristischen Verfahrensweisen in Aporien fⁿhrt, er÷ffnet sie zugleich die M÷glichkeit einer 'Metaphysik des Schwebens' (Walter Schulz) als Bereich des ─sthetischen jenseits der Antinomien von 'Endlichkeit' (Hegel). Das Literarische erscheint so als Produkt des skeptischen Ausstiegs aus den zur Entscheidung n÷tigenden DualitΣten; umgekehrt wird hier die Skepsis als Matrix des Literarischen angesprochen. In dem vom GK anvisierten systematischen Zusammenhang bildet die literarische Skepsis als Balanceakt zwischen den Positionen bzw. als Verharren auf dem Punkt des Kippens gleichsam den Hiatus zwischen 'Pragmatisierung' und 'Entpragmatisierung'.
Ein Zeitraum, in welchem das Wechselspiel von Funktionalisierung und Absto▀ung, Suspens und VerselbstΣndigung nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Ausdifferenzierung der Diskurse im Zuge der Emanzipation des Literarischen besondere Brisanz gewinnt, ist die Frⁿhe Neuzeit. Im Zusammenwirken mit einer vergleichsweise kontinuierlicher prΣsenten Tradition neuakademischer Skepsis bildet die lateinische ▄bersetzung des Grundrisses der pyrrhonischen Skepsis des Sextus Empiricus von 1562 den entscheidenden Ansto▀ fⁿr eine 'pyrrhonische Krise' (Richard Popkin), die sich, von Frankreich ausgehend, alsbald nach England fortsetzt. In der Fluchtlinie dieses skeptischen Aufbruchs stehen nicht nur die Instrumentalisierungen der damit bereitgestellten Mittel des Denkens durch den Rationalismus Descartes' oder den Empirismus Bacons und der Royal Society. Darⁿberhinaus zeigen gerade die berⁿhmten AnfΣnge der Sextus-Rezeption von Montaigne bis Shakespeare, welchen Beitrag ein struktureller Skeptizismus zur Herausbildung von Schreibweisen leistet, die sich der philosophischen Indienstnahme widersetzen und die Selbstkonstitution des Literarischen einleiten. Der antisystematische Affekt der pyrrhonischen Skepsis und ihr anti-dogmatisches Potential lassen sich also sowohl konstruktiv wenden (und ⁿber den Umweg der Kritik vorfindlicher Denk- und Redeweisen zuletzt wieder diversen Pragmatisierungstendenzen einfⁿgen) als auch poetisch radikalisieren oder in Essay und Drama zur Inszenierung eben jener Isosthenie fruchtbar machen, die im Medium des Philosophischen (Theologischen, Naturwissenschaftlichen ...) stets von der Vereindeutigung und Aneignung durch ihr dogmatisches Gegenteil bedroht ist. Historisch lΣ▀t sich der Bereich der fⁿr dieses Teilprojekt in Frage kommenden Texte somit etwa durch Namen wie Cusanus einerseits, Shaftesbury und Sterne andererseits eingrenzen. Relevant sind unter diesem Gesichtspunkt nahezu alle Gattungen - von Essays und Drama bis Poesie und Prosa (einschlie▀lich der AnfΣnge des Romans).

Wichtige Forschungsliteratur

Eigene Vorarbeiten (Verena Lobsien, Englisches Seminar)

Das Projekt bildet einen Teilaspekt eines Forschungsvorhabens, fⁿr das der Projektleiterin ein Heisenbergstipendium bewilligt worden ist (das nach Annahme eines Rufs an die UniversitΣt Tⁿbingen nicht wahrgenommen werden wird). Die Vorarbeiten sind im Wesentlichen unpubliziert; sie liegen in den folgenden Bereichen: Publiziert: Voraussichtlich 1996 erscheinen:

M÷gliche Dissertationsprojekte



2. Geschichte des literarischen Narren.

Erasmus hat in seinem berⁿhmten Adagium Nr. 2201 Name und Bild der 'Sileni Alcibiadis' fⁿr solche FΣlle bekannt gemacht, in denen unter einer unscheinbar-lΣcherlichen Hⁿlle ein reicher und kostbarer Gehalt verborgen ist, der, weil er nie ganz welthaft werden kann, die Maskierung braucht und in ihr umso staunenswerter erscheint. Da Erasmus den Silen als Hofnarren der G÷tter und den Sokrates als weisen Narren bezeichnet, darf man annehmen, da▀ er gerade im (Hof-) Narren jene Struktur realisiert sieht, in welcher ein geistiger oder sozialer Mangel, eine Abweichung in Rede, Verhalten oder Kleidung als Zeichen fⁿr ein notwendig Entzogenes verstanden wird. Ist der Gedanke erst einmal da, so geraten auch eindeutig kritisch gemeinte Narrenbilder in seinen Sog, und man kann beobachten, wie ein vorgegebener Traditionsbestand in ein neues Deutungsfeld gerΣt, das ihn umprΣgt und ambiguiert. Solchen VorgΣngen und den Geschicken des literarischen Narren von Erasmus bis zu Thomas Bernhard soll nachgegangen werden. Dabei ergeben sich Schwerpunkte im 16./17. Jahrhundert, um 1800 sowie am Beginn und am Ende dieses Jahrhunderts, wobei auch der Vergleich ⁿber gro▀e historische AbstΣnde hinweg Erkenntnis verspricht. So k÷nnen die Kon- sequenzen, die sich in der neueren Literatur daraus ergeben, da▀ das 'Entzogene' au▀erhalb der kⁿnstlerischen Darstellung nicht mehr fundiert werden kann, die Literatur der frⁿhen Neuzeit in ein neues Licht rⁿcken. Zu den weiteren Leitfragen geh÷ren die nach dem VerhΣltnis der Ausnahme zur NormalitΣt und zur Macht, nach dem VerhΣltnis von Freiwilligkeit und Notwendigkeit, nach dem SpannungsverhΣltnis des Individuellen zu Institutionen (Parasit, Hofnarr, literarische Autorschaft) und zur Tradition, nach dem Bezug zum Komplex der Satire. Dabei ist nach dem Narren sowohl als Objekt wie als Subjekt der Literatur (Literatur als nΣrrischer Rede) und nach dem VerhΣltnis beider gefragt.
Der Narr als 'Objekt' der Literatur ist historisch vielfΣltig und auf interessante Weise in Kontakt und Konkurrenz getreten mit der fⁿrsorgerischen und wissenschaftlichen Behandlung der einschlΣgigen PhΣnomene der Abweichung. An einzelnen FΣllen ist dies VerhΣltnis untersucht. Mit dem Narren als 'Subjekt' der Literatur, d.i. mit der Literatur als nΣrrischer Rede steht ein Sprachverhalten zur Debatte, das mit seiner Defizienz Bedeutung beansprucht und sich in ein Rand- und SpiegelungsverhΣltnis sowohl zur Lebenswelt wie aber auch zum ─sthetisch-Literarischen setzt.

Wichtige Forschungsliteratur

Eigene Vorarbeiten (Jⁿrgen Brummack, Deutsches Seminar)

M÷gliche Dissertationsprojekte

Forschungen:

3. Literatur als Widerstand. Ein dominantes Begrⁿndungskonzept der deutschen Literatur im 20. Jahrhundert.

Das Projekt geht von der Beobachtung und dem Befund aus, da▀ sich nach 1945 fast alle westdeutschen Schriftsteller als literarische WiderstandskΣmpfer verstanden haben, z.B. Alfred Andersch, Gⁿnter Eich, Heinrich B÷ll oder Max Frisch. Sieht man einmal von dem Umstand ab, da▀ es in der Bundesrepublik ein begreifliches Nachholbedⁿrfnis in Sachen Widerstand gegeben hat, so wird man dadurch auf einen Komplex aufmerksam, der fⁿr die gesamte moderne Literatur von Bedeutung ist. Der Begriff des 'Widerstands' bezieht sich nΣmlich weniger auf die politische Literatur im engeren Sinne, z.B. auf die verschiedenen Formen und Phasen einer RΘsistance-Literatur seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts, als vielmehr auf die innersten Bereiche der jeweiligen ─sthetik und Poetik eines Dichters. Hier wird er auf eine eigene und doch vergleichbare Weise von erstaunlich vielen Schriftstellern definiert. Die Disposition fⁿr solche Definitionen bildete sich vermutlich in der Mitte des 19. Jahrhunderts heraus, als die europΣischen Kⁿnstler mehr und mehr in eine Oppositions- und Au▀enseiterstellung gegenⁿber der modernen Gesellschaft und ihrer Entwicklung gerieten. Seitdem haben sie sich nicht damit begnⁿgt, die inhumanen Tendenzen der modernen Welt zu kritisieren, sondern sie wollten ihnen mit ihrem Werk und oft auch mit ihren Lebensformen unmittelbar Widerstand leisten - und sei es auch nur im Sinne der 'Negativen ─sthetik' Adornos.
Diese Haltung stⁿtzte sich bis in die jⁿngste Zeit wenig dialektisch auf ein antithetisches Gegeneinander von Geist und Macht. Literatur, als die Instanz des Geistes, verstand sich eo ipso als Machtkritik und Subversion der Macht in allen ihren Erscheinungen.
Erst in den letzten Jahren, vor allem durch die Schriften und Aktionen M. Foucaults, ist der politische und Σsthetische Widerstandsbegriff der Intellektuellen und Kⁿnstler problematisiert worden. Die Vorstellung, da▀ es innerhalb oder au▀erhalb von Machtsystemen archimedische Punkte gΣbe, ist obsolet geworden. Gleichzeitig wurden neue Formen des politischen und Σsthetischen Widerstandes entwickelt und diskutiert. In dieser Situation ist es angezeigt, ⁿber den Widerstandsbegriff in der Literatur literarisch und systematisch nachzudenken.
Die Untersuchung soll sich zunΣchst auf seine vielfΣltigen Erscheinungen in der Literatur des 20. Jahrhunderts beziehen.

Wichtige Forschungsliteratur

Eigene Vorarbeiten (Jⁿrgen Schr÷der, Deutsches Seminar)

M÷gliche Dissertationsprojekte



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© '96 Deutsches Seminar, UniversitΣt Tⁿbingen Letzte Änderung: 23.07.96